Katja Lange-Müller

Poetische Präzision: Metapher und Atmosphäre.

Vielen Autoren, besonders denen, die mit dem Schreiben gerade erst beginnen, “passieren” gelegentlich eher kürzere Texte (und oft bleiben die dann auch später Fragment), die sich nicht recht bestimmen lassen. Texte, die anscheinend oder tatsächlich unter großem Druck aufs Papier geraten sind, Skizzen, Entwürfe von poetischer und/oder atmosphärischer Dichte, die dennoch keine Lyrik sind, aber (epische) Prosa auch nicht, Texte, die mehr wahrnehmen als erzählen, die zu leidenschaftlich, zu expressiv klingen, um “nur” beobachtet oder “nur” fiktional sein zu können.
Solche Texte sollen mir die Studenten mitbringen oder sie sollen, wenn ihnen das bislang fremd war, versuchen, Derartiges zu schreiben. Wir wollen dann anhand der Texte (und ähnlicher von Musil, Highmith, Seidel, die ich vorstellen werde) das Zusammenspiel, die Überschneidungen von Metapher (literarisches Bild, das stimmt oder auch nicht oder mehr oder weniger absichtlich “schief” ist) und Atmosphäre (Textton, Sprachmusik, Erzähltemperatur) erforschen, auch die schreibdramaturgisch interessanten Brüche zwischen Metapher(n) und Atmosphäre. Wir werden bei unseren Analysen herausfinden, daß diese dichten Fragmente, diese aufgeladenen Skizzen wahre Glühkerne sind, die Ursuppe für “größere” Texte, daß sie oftmals den Grundton einer späteren Prosaarbeit anschlagen, ja eigentlich immer Anfänge sind, zu denen sich ein Weiter manchmal erst Jahre später findet. In anderen „Fällen“ müssen solche „Grenzgänger“ zwischen artifizieller Kurzprosa und Erzähllyrik auch bloß Ballast abwerfen oder noch gründlicher entschlackt werden, auf daß das oft zu tief in noch immer zu vielen Wörtern steckende Gedicht pur hervortrete.
Selbstverständlich lassen sich an Texten der beschriebenen Art auch Wesen und Funktion der literarischen Metapher sehr gut erläutern. Desgleichen aufwerfen die Fragen: Was ist eigentlich Atmosphäre? Wie läßt ein Autor so etwas entstehen; ja in welchem Umfang kann er Atmosphäre überhaupt beeinflussen? Hört der Autor den Ton seines Textes oder erzeugt er ihn?
Diese Dinge sind für die literarische Substanz, das Eigene eines jeden Schriftstellers und sogar eines jeden Textes von größter Wichtigkeit und am besten zu erfahren im analytischen Umgang mit “selbstgeschriebenen Probanden”.
Literatur dazu: Robert Musil, “Nachlaß zu Lebzeiten”, Patricia Highsmith, “Erzählungen”, Georg Seidel “In seiner Freizeit las der Angeklagte Märchen”.

Genreübergreifend