Werkstattmodul Formen der Lyrik: Lyrik übersetzen
Man könne das Gedicht als das Unübersetzbare definieren, schrieb Benn – und traf damit einen wesentlichen Punkt: Die poetische Idee eines Gedichts ist so tief im Gewebe seiner Klänge (und letztlich in der Stimme des Dichters) verborgen, dass sie bei der Übertragung in eine andere Sprache neu erschaffen werden muss. Dennoch werden Gedichte übersetzt, dennoch gibt es gerade bei Lyrikern eine Lust am Übersetzen anderer Lyriker, die darin gründet, dass es die intensivste Form der Lektüre ist und es keine bessere Weise gibt, die eigene Stimme fortzubilden. Genau hier setzt dieses auch für Gäste offene Seminar an, das nicht zum Ziel hat, letztgültige Fassungen zu erstellen, sondern die Lust am genauen Lesen und den Erkenntnisgewinn am fremdsprachigen Text für erste Versuche im nachdichtenden Übersetzen fruchtbar machen will. Freilich geht es uns nicht um eine allzu unbekümmerte Eigenversion. Treue zur Vorlage gehört zum Ethos des Übersetzens – wenn sich auch zeigen mag, dass Abweichung im Detail notwendig ist, um den Geist des Gedichts im Ganzen zu treffen. Vorerfahrungen im Übersetzen sind zur Teilnahme nicht erforderlich; Kenntnis des Englischen, das unsere bevorzugte Originalsprache sein wird, wäre erfreulich. In den ersten Wochen werden wir uns anhand kleiner, genau betrachteter Proben mit dem Vergleich vorliegender Übersetzungen klassischer Texte (Dante, Shakespeare, Eliot) befassen, während die zweite Hälfte des Semesters eigenen übersetzerischen Versuchen vorbehalten sein wird. Dazu sollte sich jeder Teilnehmer „seinen“ Dichter suchen, an dem er/sie sich erproben möchte. Ein Vorgang, der verschiedene Stadien durchlaufen kann: von der inhaltlich orientierten Rohübersetzung über die stilistische Bearbeitung hin zu der Suche nach dem „dritten“ Ton, der dem Original nahe kommt, aber auch die Stimme des Übersetzers trifft. Die Grundfragen stellen sich dabei immer wieder neu: Was ist ein Vers? Was ist die Form? Was ist das Gedicht? Denkbar ist darüber hinaus noch etwas: Der Übersprung vom Studium der Vorlage ins eigene Schreiben, das sich die Tradition anverwandelt.