Vertiefung Formen der Lyrik: Strenge Formen zwischen Schrift und Stimme
Im Werkstattseminar soll ein formstrenges, regelgeleitetes Schreiben erprobt werden, wobei die Verschärfung der Regel oder die Aufpfropfung einer Regel auf eine andere einen besonderen Reiz darstellt. Die Erfahrung zeigt, dass ein regelpoetisch geleitetes Schreiben überraschendere, scharfsinnigere, mitunter auch rätselhaftere Ergebnisse zeitigen kann als die pure Not literarischen Produzierens. Einbildungskraft schafft noch keine Worte, fessellose Imagination fängt keinen Text. Das Seminar lädt dazu ein, entlegene und vergessene Formen zu entdecken, darunter Buchstaben-, Silben- und Reimspiele, Wort- und Wortstellungsspiele. Während das Anagramm seine Form selbst mitbringt, mit jedem Anagramm und jeder Zeile erneut, ist beim Sonett hinsichtlich seiner Form die Varianz die einzige Invariante. Ein Ausflug in die Geschichte der Sonettform bietet sich dementsprechend an. Kombiniert werden können die Formen des Sonetts oder der Sestine zum Beispiel mit einer festgelegten Anzahl von Hebungen (Betonungen) oder Silben pro Zeile. Auch die zwischen Schrift und Stimme oszillierende Lautpoesie soll an exemplarischen Beispielen vorgestellt werden. Wird die Stimme als Medium aufgerufen, so liegt es nahe, das Lesen bzw. Artikulieren von Gedichten einzuüben. In der stimmlichen Realisation kann sich zeigen, dass die Stimme nicht bloß ein Informationsvehikel sein muss. Nicht zuletzt soll nach den Möglichkeiten einer gestisch erweiterten Semantik gefragt werden. Eigensinnige sprachrhythmische Gestik als Performanz der im Gedicht benannten Dinge kann quer zur Metrik und alltagssprachlichen Rhythmik stehen, die im Gedicht selbst schon in Konkurrenz zueinander treten können. Auch visuelle Gestik als Moment einer Poesie der Fläche kann eine überschüssige – nonverbale – Semantisierung hervorbringen.