Yade Yasemin Önder

Wir wissen, wir könnten, und fallen synchron

Schon immer haben drei Bestandteile ausgereicht, um die Welt neu zu erschaffen und zurück ins Chaos zu stürzen: Vater, Mutter, Kind. Yade Yasemin Önder bringt diese Akteure so virtuos auf Kollisionskurs, dass einem die Luft wegbleibt: ein im schönsten Sinne atemberaubendes Debüt. Im Jahr nach Tschernobyl wird die Ich-Erzählerin geboren, irgendwo in der Westdeutschen Provinz, als »Mischling aus meiner Mutter und meinem Vater«, wie es heißt. Doch die intakte Kernfamilie währt nicht lange: Der türkische Vater (so übergewichtig, dass man »fast nichts mit ihm machen kann, was mit Schwerkraft zu tun hat«) stirbt. Alleingelassen ergeben Tochter und Mutter eine toxische Mischung. Der Roman erzählt, wie ein Mädchen hinausfindet aus einer beschädigten Familienaufstellung hinein in eine düster-funkelnde BRD. Er erzählt von einem Großvater mit Loch im Hals, von Sommern in Istanbul, die nach zu heißen Elektrogeräten riechen und nach Anis; von Dingen und Menschen, die auf Nimmerwiedersehen aus dem Fenster fliegen. Es ist die Geschichte einer jungen Frau, die sich immer wieder verliert und wiederfindet, auseiderfällt und neu zusammensetzt. Bei alldem bleibt der Vater ein Wiedergänger, der deutlich macht: Auch jemand, der fehlt, kann zu viel sein. „Über Identität zwischen den Kulturen, toxische Mütter und Pubertätsqualen ist schon viel geschrieben worden. Yade Yasemin Önder traut sich richtig was. Schonungslos bringt sie in ehrlichen Sätzen, grotesk anmutenden Körperbeschreibungen und surrealen Szenen radikal die subjektive Wahrnehmung der Hauptfigur zum Ausdruck. Vernichtende Miniaturen deutscher Engstirnigkeit wechseln sich ab mit Liebeserklärungen an den türkischen Großvater, mit dem sie sich ohne Worte versteht. Ein starkes Debüt, intensiv und einzigartig“ (wdr.de)

Roman
Kiepenheuer & Witsch
2022