Jens Groß

Seminar/Werkstattseminar: Zur Grammatik der (post)dramatischen Situation. Übungen zu ausgewählten Dramentheorien

Wer für die Bühne schreiben will, sollte sich mit einigen Grundlagen (und Differenzen zu anderen Kunstaktivitäten) vertraut machen, die mit dem besonderen Ort der Live-Präsentation und der Geschichte des Mediums zu tun haben, an dem eine einzigartige Überschneidung von ästhetisch organisiertem und alltäglich realem Leben geschieht. Erst die Theateraufführung selbst lässt aus der Darstellung auf der Bühne und den Reaktionen im Zuschauerraum einen gemeinsamen, momentan gültigen Text entstehen, für den der Dramatiker zunächst nur einen Anstoß, ein Gerüst geliefert hat. Manchmal nicht einmal mehr das. Modernes Theater kommt schnell auch ohne den eigens dafür geschriebenen Text aus. Braucht man also keine Dramatiker mehr? Ist das Theater heute kein Medium mehr für Haltung, Kritik und Diskussion? Doch! Aber viele Autoren kapitulieren vor der schleichenden Demokratisierung der Beziehung zwischen Text, Regie, Theaterraum, Darstellung und Zuschauer, der gleichzeitigen Emission und Rezeption der Zeichen und Signale. Theaterschreiber haben oftmals vergessen, dass sie die Macht haben, a priori dramatische Situationen (möglicherweise sogar ohne Dialog oder Text) zu schaffen, ein Spiel und seine Regeln vorzugeben, das alle Beteiligten zu konkreten Haltungen zwingen könnte. An der Herleitung wesentlicher Begriffe der Dramentheorie (z.B. ´Nachahmung´, ´Handlung´, ´Katharsis´, ´Illusion´ und ´V-Effekt´ usw.) in ihren geschichtlichen Kontexten, versucht das Seminar, einen groben Überblick des wirkungsästhetischen Instrumentariums vom „dramatischen Drama“ bis hin zum „postdramatischen Drama“ (H.T. Lehmann) zu verschaffen. Als praktische Übung soll dann versucht werden, anhand der erarbeiteten Begriffe, einzelne Sequenzen aus der „Orestie“ von Aischylos für unsere Gegenwartserfahrung neu zu schreiben
oder umzuschreiben.
Verwendete Literatur:
Aristoteles: Die Poetik
G.E. Lessing: Die Hamburgische Dramaturgie
Berthold Brecht: Schriften zum Theater
H. T. Lehmann: Postdramatisches Theater
Aischylos: Die Orestie

Dramatik