Das narrative Gedicht
„Petites poèmes en prose“ nannte Charles Baudelaire seine Gedichtsammlung „Le Spleen de Paris“, mit der er die automatisierte Vorrangigkeit der Versdichtung in der französischen Literatur mit ihren rhetorisierten Versifikationsregeln störte. Der Prosamodus der Lyrik mit seinen sprachlichen Verfahren und Form-Inhalt-Spannungen brachte
ein neues Gattungsmodell hervor und initiierte einen nachhaltigen Literaturstreit. An den „Kleinen Gedichten in Prosa“ kann man zeigen, dass die Lyrik aus der Prosa hervorgegangen ist und dass die Textsorte des Prosagedichts im Sinne einer forcierten Modernität das Arbiträre, Flüchtige featured, das konträr zum tradierten Schönheitsbegriff steht. Rolf Dieter Brinkmann merkte über sein Buch „Westwärts 1 & 2“ an, es sei „ohne Rücksicht auf die herrschenden literarischen Konventionen“ entstanden und
könne „ebenso gut als ein zusammenhängendes Prosabuch, Gedichtbuch wie Essaybuch gelesen werden.“ Von den Texten Friederike Mayröckers und Helmut Heißenbüttels ließe sich Analoges sagen. Im Seminar sollen Texte der genannten Autor:innen besprochen, vor allem aber narrative Gedichte mit fließenden Gattungsgrenzen entstehen und (eigene) Prosatexte in Gedichte und (eigene) Gedichte in Prosatexte umgeschrieben werden.